"Ich fürchte mich vor dem ganzen Internet. Es ist gratis. Ich nicht."
Rich Jaroslovsky ist die Ausnahme von der Regel. 440.000 Abonnenten sind bereit, für seine Online-Zeitung zu bezahlen. Der Managing Editor des interaktiven Wall Street Journal (wsj.com) blickt mit Andreas Aichinger in die Zukunft.
(Anm: Langfassung eines Interviews, das ich im Jahr 2000!! für den ÖsterreichischenJournalist geführt habe)
? Mr. Jaroslovsky, als Sie im April 1996 das interaktive Wall Street Journal aus der Taufe gehoben haben, war es anfangs noch gratis.Sie haben damals erst einmal viele Leser angelockt, mit der Einführung der kostenpflichtigen Abos aber nahezu alle Abonnenten gleich wieder verloren? ! Das ist ein Mythos. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir über Abo-Gebühren nachdenken, haben die Site aber erst einmal gratis zum Test freigegeben. Viele haben die Seite damals nur ein oder zweimal besucht und sind nie zurückgekommen. Bei den richtigen Abonnenten war der Rückgang aber bei weitem nicht so dramatisch, als wir einige Monate nach dem Start Geld für unsere Abos verlangt haben.
? Die Online-Ausgabe des Wall Street Journal ist die weltweit größte Seite im Internet, für die Abonnenten bereit sind, Geld auszugeben. Was ist ihr Geheimnis? ! Unsere Erfolgsgeschichte beruht auf einer Kombination verschiedener Faktoren: Dem starken Namen des Wall Street Journal, unserer Leserstruktur und vor allem der Qualität unserer Arbeit. Wir haben einfach nur eines bewiesen: Gib- den Leuten etwas, für das es sich lohnt, Geld auszugeben. Dann sind sie auch bereit, dafür zu bezahlen.
? Sie haben derzeit schon 440.000 Online-Abonnenten. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass auch andere traditionelle Medienhäuser mit ihren Online-Ausgaben Geld machen? ! Ich glaube durchaus, dass auch andere das schaffen können. Aber am Anfang muss immer derselbe Zugang stehen: Machen wir ein Produkt, das sein Geld wert ist!
? Aber selbst das interaktive Wall Street Journal macht derzeit nur in manchen Monaten Gewinne? ! Wir sind noch immer an einem Punkt, wo wir weiter investieren, um dieses Business aufzubauen. Aber eines ist sicher: Wir wollen, dass wsj.com gleichermaßen ein wirtschaftlicher und ein redaktioneller Erfolg wird. Da sind wir jetzt schon sehr weit.
? In Europa schreiben Online-Ausgaben etablierter Medien durchwegs noch rote Zahlen. Kann es trotz der Verluste auch jetzt schon eine Art Umwegrentabilität für die Medienhäuser geben? ! Ich glaube ganz fest an die Zukunft des Internets. Wie bei jeder neuen Technologie wird es natürlich auch hier Sieger und Verlierer geben. In der Frühzeit der PCs wäre es sehr schwer vorherzusehen gewesen, dass traditionelle Unternehmen verschwinden und jemand wie Microsoft allmächtig werden würde. Im Internet ist es jetzt genauso: Einige werden aufblühen, andere verwelken. Man muss Strategien entwickeln, um zu den Siegern zu gehören.
? Welchen Rat haben Sie für Medienmacher, die sich mit Verlusten im Internet schon fast abgefunden haben? ! Seid kreativ! Es hat keinen Sinn, im Internet nur einen Spiegel des Printbereiches zu sehen. Im Web kann man Dinge tun, die in anderen Medien nicht funktionieren. Und das müsst ihr ausnutzen.
? Viele Verleger haben immer noch Angst, mit einer Online-Ausgabe ihr Printprodukt zu schädigen? Was sagen Sie denen? ! Ich sage: „Überwinden Sie die Angst!“ Zuallererst sind die beiden Medien komplementär, das Fernsehen hat ja auch das Radio nicht umgebracht. Aber selbst wenn das so wäre, ist es doch besser, Kunden an sich selbst zu verlieren als an die Konkurrenz.
? Das klingt jetzt so einfach. Hatten Sie damals keine Probleme, ihre Eigentümer von der Sinnhaftigkeit einer Online-Edition zu überzeugen? ! Dow Jones hat immer eine einfache Philosophie gehabt: Die qualitativ besten globalen Business- und Finanz-News zu liefern, wo, wann und wie auch immer der Konsument sie braucht. Zum Glück für uns haben die Dow-Jones-Bosse schon früh die Wichtigkeit der digitalen Verbreitung erkannt und frühzeitig das Internet miteinbezogen. Dieses Engagement und diese Unterstützung haben wsj.com erst möglich gemacht.
?Kommen wir zu Ihrem journalistischen Alltag. Ihre Redaktion arbeitet in drei Schichten. Wie funktioniert das? ! Wir haben derzeit Redakteure und Reporter in New York, New Jersey, Washington, D.C., San Francisco, Los Angeles, Brüssel, London, Hong Kong und Manila. In einem globalen Markt gibt es permanent wichtige News und auch Leute, die diese News brauchen. Wenn es bei uns in New York Nacht ist, läuft in Asien gerade das Business auf Hochtouren. Eine Schicht widmet sich also dem US-Markt, die zweite greift Themen der Print-Ausgabe auf, die dritte blickt schwerpunktmäßig nach Asien. Unsere Reporter sind aber angewiesen, nicht dieselben Geschichten wie die Print-Ausgabe und die Nachrichten-Agenturen zu machen. Stattdessen ist es ihre Aufgabe, zusätzliche Geschichten zu bringen, die unsere Online-Leser erfahrungsgemäß besonders interessieren: Zum Beispiel über Online-Investing, E-Commerce oder Technologie.
? Sie haben einmal gesagt: “Ich fürchte mich vor dem ganzen Internet. Es ist gratis. Ich nicht. Also müssen wir eben besser sein.“ Wie geht das? ! Das stimmt, das gesamte restliche Internet ist mein Konkurrent. Ich muss wesentlich besser sein als alle anderen Gratis-Informationen, damit die Leute in die Tasche greifen. Dass wir da erfolgreich sind, spricht glaube ich für die Qualität unserer Arbeit. Die Leute haben sehr hohe Erwartungen in alles, was den Namen The Wall Street Journal trägt. Wenn wir diesen Erwartungen nicht gerecht werden könnten, wären sie bald auf und davon.
? Wenn ich mich für ein wsj.com-Abo interessiere, wie machen Sie es mir schmackhaft? ! Wsj.com ist wirklich aktuell: Unsere Redakteure updaten die Site 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Es ist global: Es enthält Informationen aus den weltweiten Ressourcen von Dow Jones. Es geht in die Tiefe und enthält eine wahrhaft ungeheuerliche Fülle von Informationen, weit mehr als in jedem anderen Medium angeboten werden könnten. Schließlich ist es persönlich: Es gibt viele Möglichkeiten, wsj.com an individuelle Bedürfnisse anzupassen und genau das zu finden, was man benötigt.
? Was ist der Unterschied zwischen einem Print- und einem Online-Abonnenten? Wer bekommt mehr für sein Geld? ! Das ist einfach. Der Online-Abonnent bekommt mehr geboten. Kein Printprodukt kann auch nur einen Teil unseres Angebotes liefern. Aber ich glaube, dass sich die beiden Medien eher ergänzen als in Konkurrenz zu stehen. Das Erlebnis der Informationsaufnahme ist völlig verschieden. Die Zeitung ist kompakt, verfügbar, man kann sie mitnehmen, findet interessante Dinge, die man eigentlich gar nicht gesucht hat. Die Online-Ausgabe ist aktuell, schnell, wahnsinnig umfangreich. Manche Elemente – etwa das Editorial – lese aber sogar ich lieber auf Papier.
? Wollen Online-Abonnenten eigentlich tatsächlich kompaktere, kürzere Geschichten? ! Anfangs haben wir das auch geglaubt, es ist ja schwieriger, lange Geschichten am Bildschirm zu lesen. Aber die Antwort der Leser kam schnell und war ein schallendes „Nein“. Bewahre Gott, dass der Eindruck entsteht, wir hätten auch nur ein Komma der Print-Ausgabe weggelassen! Unsere Abonnenten wollen sicher sein, dass alles da ist, auch wenn sie es nicht verwenden. Das gibt ihnen ein Gefühl der Sicherheit. Ich weiß nicht, ob das auch für andere Sites gilt, für uns jedenfalls.
? Sie haben im Vorjahr die „Online News Association“ (ONA) für Online-Journalisten gegründet. Was steckt dahinter? ! Viele von uns ringen noch mit Problemen, die für andere Medien längst gelöst sind. Etwa die Frage einer ordentlichen Trennung von News und E-Commerce. Oder die Frage des Zugangs zu Entscheidungsträgern und nachrichtenrelevanten Ereignissen. Die ONA ist der Versuch, diese Fragen anzusprechen, Online-Journalisten zusammenzubringen und das Internet als Plattform für Qualitätsjournalismus erster Güte zu fördern. Ehrlichkeit, Genauigkeit und Fairness kommen nicht aus der Mode, nur weil sich die Technologie geändert hat.
? Neue Medien-Macher ohne journalistischen Impetus werden zusehends zu Content-Produzenten. Drohen da nicht die Grenzen zwischen redaktionellen und wirtschaftlichen Interessen zu verschwimmen? ! Grundsätzlich geht es um Fairness gegenüber dem Konsumenten. Die Leute sind nicht dumm, sie werden es merken, wenn man ihnen ein X für ein U vormacht. Und das werden sie gar nicht schätzen. Kommerziell motivierter „Content“ muss als solcher zu erkennen sein. Das sind keine News, das soll daher auch nicht wie News präsentiert werden.
? Besteht nicht die Gefahr, dass sich Online-Journalismus im Ab- und Umschreiben von Agenturmeldungen erschöpft? Und die Zeit für eigene Stories zu kurz kommt? ! Im Gegenteil, ich glaube die Entwicklung verläuft gerade in die gegenteilige Richtung. Derzeit geht viel Online-Content auf Print oder Radio/TV zurück. Aber wenn das Internet allgegenwärtiger wird, wenn mehr Menschen Breitband- und kabellosen Internet-Zugang haben, dann werden neue, netz-typische Formen des Journalismus entstehen. Vergessen wir nicht: Das Medium steckt noch in seinen Kinderschuhen!
? An welche neuen Formen des Journalismus denken Sie da? Ich glaube es ist ein Fehler, das Netz nur in Form von HTML-Webseiten zu begreifen. Auf der einen Seite wird es einfache Plattformen geben - Internet Appliances (Anm. 2011: also die heute nicht mehr wegzudenkenden Apps!), WAP Handys und andere Wireless Devices. Auf der anderen Seite wird es mehr Multimedia-Inhalte geben, ich denke da etwa an Flash. Und die Art des Journalismus die für eine Plattform geeignet ist, könnte bei einer anderen gar nicht funktionieren. Sehen Sie sich etwa die erweiterte Version unserer Online-Ausgabe an. Das ist nicht Print, das ist nicht Broadcasting - das ist etwas anderes. Etwas, das den Weg zu neuen Formen des Journalismus weist, die zwar Elemente anderer Medien beinhalten, aber diese in einer ganz speziell für Online geeigneten Weise zusammenführen.
? Wie gestalten sich die Arbeitsbedingungen für Online-Journalisten in den USA? Auch in Hinblick auf Bezahlung und Prestige? ! Das kommt auf das Medium an. Was wir bei wsj.com zahlen, ist absolut mit dem Printbereich vergleichbar. Ich bin sicher, dass manche versuchen, Online-Ausgaben auf Sparflamme zu fahren. Aber das wird nicht auf Dauer funktionieren. Was das Prestige betrifft: Ich war zuvor schon politischer Redakteur im gedruckten Wall Street Journal sowie Korrespondent im Weißen Haus. Was ich jetzt mache war ganz sicher kein Rückschritt in dieser Hinsicht.
? Was raten Sie jemandem, der sich als Online-Journalist verdingen will? ! Wir leben in einer unglaublich aufregenden Zeit, um als Journalist in diesem Medium zu arbeiten. Viele der Regeln wurden noch nicht geschrieben, aber ihr könnt diese Regeln mitschreiben. Und ihr müsst auf die Grundwerte für guten Journalismus setzen. Und dann viel Spaß!
? Einige Internet-Propheten hören dennoch schon für den Journalismus, wie wir ihn kennen, die Totenglocken läuten. Jeder User würde in Zukunft seine Informationen selber filtern und interpretieren. Sterben Journalisten aus? ! Das habe ich schon oft gehört. Aber diese Stimmen werden leiser. Es gibt so viele Informationen da draußen. Wir müssen zusehends auch als Filter, Moderatoren, manchmal sogar als Schiedsrichter in Erscheinung treten, nicht nur als Produzenten. Die Leute werden mehr als je zuvor Hilfe beim Sieben und Verifizieren brauchen, jemanden, der Erklärungen anbietet. Und das beschreibt eigentlich ziemlich perfekt, was ein guter Journalist macht.