Friede, Freude, und ein Stück vom Energiekuchen: Österreichs Solargemeinde führt einen hoch politischen Kampf um eine Zukunftstechnologie.
„Wir haben keine Chance zu überleben!“ Die Stimme des älteren Herrn mit dem Hörgerät im Ohr überschlägt sich. Jetzt sofort müsse man mit der Reparatur der Umweltschäden beginnen, brüllt er, und fuchtelt wild mit einem Packen Flugblätter: „Ich habe ein Formular mitgebracht, mit der Internet-Nummer.“ „Man spürt, mit wie viel Herzblut viele Akteure bei der Sache sind,“ versucht Josef Riegler zu beruhigen. Doch auch der ehemalige Vizekanzler und Präsident des Ökosozialen Forums Österreich nimmt sich an diesem Abend kein Blatt vor den Mund: „Die Gier nach Öl ist eine der Wurzeln für Krieg und Gewalt.“ Applaus. Das bunt gemischte Auditorium im Raum ist sich einig. Und setzt unisono auf ein anderes Pferd: die Sonnenenergie.
Jeden dritten Donnerstag im Monat wird ein Restaurant in der Wiener Elisabethstraße zum Gravitationszentrum solarbewegter Zeitgenossen. An die 70 Gäste haben sich auch dieses Mal zum „Wiener Solarstammtisch“ eingefunden, um einem Referat des ehemaligen ÖVP-Politikers und Erfinders der „Ökosozialen Marktwirtschaft“ zu lauschen. Die Stimmung ist gut, man kennt sich. Wiener Schnitzel und Bier werden serviert, ein Teilnehmer verkündet: „Ich bin ein Sympathisant von allem, was grün ist.“
Am Solarstammtisch Stammtischorganisator Gerhard Kaindl beschreibt das Erfolgsrezept des nach eigenem Verständnis „international bekanntesten“ Solarstammtisches: „Wir leben von der Mundpropaganda.“ Und auch das ökonomische Element kommt nicht zu kurz. Kaindl: „Es gibt hier auch Geschäftsanbahnungen.“ Übrigens: In Hietzing gibt es bereits den ersten Bezirksstammtisch auf Wiener Boden, insgesamt existieren bundesweit bereits 14 derartige Solarrunden.Klare Hierarchien: Wer die leistungsstärkere Solar-Anlage besitzt, besteht augenzwinkernd auf mehr Redezeit. Eine Pensionistin meldet sich zu Wort: „Ich habe eine eigene Anlage mit 22 Modulen.“ Und ein Solarauto, dass nach einem Unfall der hochbetagten Dame noch nicht wieder fahrtüchtig ist. „Zum Glück,“ raunt ein Gast.
Eine Mitstreiterin philosophiert über die beträchtlichen Kosten: „Wir legen unsere Gelder auf die Dächer.“ Stammtischorganisator Kaindl wiederum will sich demnächst selbst eine kleine Anlage anschaffen, die dafür nötigen 15.000 Euro werden an anderer Stelle eingespart: „Meine ganze Familie raucht nicht. Somit können wir das Geld für unsere Spinnereien ausgeben.“ Unter den Teilnehmern finden sich Windparkbetreiber, Biobauern, Aktivisten diverser Listen, Atomgegner, ein Vertreter der Regulierungsbehörde E-Control und eine Spezialistin für Solarkocher, die sich in der Entwicklungshilfe engagiert.Hinter der Wiener Solartafelrunde steht der Verein „Eurosolar Austria“ mit etwa 400 Mitgliedern. Wer zum Stammtisch kommt, hört bald, wo der Schuh drückt. Zum Beispiel bei der „Deckelung“ der erhöhten Einspeisetarife für Solarstrom.
Mühen der Ebene Hintergrund: Mit dem seit Jahresbeginn geltenden Ökostromgesetz wurden die Netzbetreiber zur Abnahme von Ökostrom zu attraktiven Tarifen verpflichtet, wodurch der kostendeckende Absatz sichergestellt werden sollte. Der Haken an der Sache: Die Abnahmeverpflichtung besteht nur bis zum bundesweiten Gesamtausmaß von 15 Megawatt pro Jahr – ein Wert, der bereits im Jänner überschritten wurde. Für den Rest des Jahres schauen die Solarstromproduzenten nun durch die Finger.Josef Riegler relativiert die Klagen aus der Fotovoltaikecke im Gespräch mit dem Wiener Journal: „Fotovoltaik ist eine faszinierende, aber in der Relation doch teure Technologie.“ Und weiter: „Warum besteht derzeit eine Deckelung? Wohl auch deshalb, weil insgesamt die vorhandene Fördersumme für erneuerbare Energien begrenzt ist.“ Die Grüne Eva Glawischnig hatte hingegen bereits im letzten Sommer gewarnt: „Durch derartige Barrieren werden Investoren abgeschreckt.“Dabei umweht die Branche in der Alpenrepublik in den letzten Jahren ein durchaus freundlicher Sonnenwind. Das gilt vor allem für den Bereich der Solarthermie – die Erzeugung von Warmwasser mittels Sonnenkollektoren. Österreich gehört hier gemeinsam mit Griechenland zur Solarelite innerhalb der EU. Bis Ende 2001 waren zwischen Boden- und Neusiedler See 2,37 Millionen Quadratmeter an Kollektorfläche in Betrieb.
Plastik und Algen Nach Angaben des Bundesverbandes Solar in der Wirtschaftskammer wurden 2001 satte 413.000 Quadratmeter Kollektorfläche in heimischen Betrieben produziert, über 60 Prozent davon waren für den Export bestimmt. Für die EU in ihrer Gesamtheit werden für 2003 Kollektoren mit einer Gesamtfläche von 19 Millionen Quadratmetern prognostiziert.Burkhard Brennacher, Marketingleiter International beim Kärntner Solarlösungsanbieter „Sonnenkraft“ – mit 100.000 Quadratmetern verkaufter Kollektorfläche Europas führender Anbieter – sieht die derzeitige Marktlage differenziert. Zwar sei die Entwicklung in der Solarthermie durch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zuletzt etwas schaumgebremst gewesen, dennoch „rechnen wir heuer mit 25 Prozent Steigerung gegenüber dem Vorjahr.“Im Bereich der Fotovoltaik hält sich Österreich im guten EU-Mittelfeld: Ende 2001 waren Fotovoltaik-Anlagen mit einer Gesamtspitzenleistung von 6,12 Megawatt installiert, Deutschland ist innerhalb der EU unangefochtener Spitzenreiter.
Ein Blick in die Zukunft: Die Europäische Kommission hat sich mit 3000 Megawatt Spitzenleistung bis zum Jahr 2010 ein außerordentlich ehrgeiziges Ziel gesetzt. Und auch technologisch hat sich seit der Entdeckung des fotoelektrischen Effekts durch Alexandre Becquerel anno 1839 – die Spannung zwischen zwei in Säure getauchten Metallplatten hatte sich unter dem Einfluss von Sonnenlicht erhöht – naturgemäß einiges getan. Im Vordergrund steht die Jagd nach höheren Wirkungsgraden und besserer Verarbeitbarkeit. Statt ausschließlich auf „klassische“ Halbleitermaterialien wie Silizium zu setzen, experimentieren Forscher im Augenblick auch verstärkt mit halbleitenden Polymeren, also Kunststoffen. Biegsame, leichte Plastiksolarzellen könnten so die derzeit vorherrschenden starren Module zusehends ersetzen. Ein weiteres Zukunftsszenario: Algen gewinnen mittels Sonnenenergie reinen Wasserstoff aus gewöhnlichem Wasser. Mit anderen Worten: Die Algen fungieren als Biosolarzellen. Der derart gewonnene Wasserstoff kann bei Bedarf seine Energie durch eine kontrollierte Knallgasreaktion mit dem Sauerstoff der Luft im Rahmen einer Brennstoffzelle wieder freisetzen.
Sonne statt Blut Blut für Öl. Friede durch Sonne. Die Idee: Wenn offensichtlich Kriege um den Zugriff auf Erdölfelder geführt werden, dann wird der Umstieg auf erneuerbare Energieträger zwangsläufig zur friedensichernden Maßnahme. Als Hans Kronberger 1998 sein Buch „Blut für Öl“ veröffentlicht und derartige Überlegungen angestellt hatte, waren kontroversielle Reaktionen an der Tagesordnung gewesen. Der ehemalige Journalist und nunmehrige EU-Abgeordnete wurde nicht selten als Verschwörungstheoretiker etikettiert und der Milchmädchenrechnung geziehen, seine Analyse als sektiererische Einzelmeinung abgetan. Fünf Jahre und einen Golfkrieg später freut sich Kronberger, dass „vom Taxifahrer bis zum Staatsmann heute alle diesen Gedanken nachvollziehen können.“Und spricht wörtlich von „Beschaffungskriminalität:“ „Die Beschaffung von fossilen Energieressourcen ist untrennbar mit militärischer Gewalt verbunden.“ Der „politische Patron und Missionar der Erneuerbaren Energie“ (Copyright „Wiener Bezirkszeitung“) hat sich daher vorgenommen, im Rahmen der Solarinitiativen „die Umweltbewegung mit der wieder entstehenden Friedensbewegung intellektuell zu verschmelzen“. Ein Mann, ein Wort: Kronberger hat die Idee längst auch in einen entsprechenden Verein mit Namen „Friede durch Sonne“ gegossen.
Der 51-jährige FPÖ-Politiker („Ich kann in Brüssel weisungsfrei agieren“) gilt über alle Parteigrenzen hinweg als kompetenter Experte in Sachen Solarenergie. Als Vizepräsident des Dachverbandes „Eurosolar“ weiß der ehemalige Redakteur von ORF-Sendungen wie „Argumente“ und „Konflikte“, woher der Wind weht.Die Gegner der erneuerbaren Energieträger und speziell der Fotovoltaik wären nämlich nicht primär in der Erdölwirtschaft – Ölkonzerne wie BP oder Shell setzen ganz im Gegenteil sogar selbst auf Sonnenenergie – zu finden. Vielmehr sei die allgemeine „Unwissenheit über die fantastischen Möglichkeiten“ dafür verantwortlich, dass sich eine der „größten Erfindungen der Menschheitsgeschichte überhaupt“ doch vergleichsweise nur langsam durchsetzen kann.Kronberger, selbst stolzer Besitzer einer Fotovoltaikanlage im siebten Wiener Gemeindebezirk, wagt dennoch eine zuversichtliche Prognose: „Das solare Zeitalter wird wesentlich schneller gebaut werden als das Industriezeitalter.“ Nachsatz: „Aber von heute auf morgen geht es eben auch nicht. (erschienen im WienerJournal)