Russland geigt auf – mit gelegentlichen Dissonanzen. Und obwohl der Business-Tanz mit dem Bären (noch) nicht ganz ungefährlich ist, brillieren viele rot-weiß-rote Walzerkönige längst auf dem russischen Parkett.
Es war wieder einer jener Tage, an denen Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl sein schönstes Lächeln zeigen konnte. Der Anlass: die erste Tagung des Russisch-Österreichischen Geschäftsrates im März in Wien, der die Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem flächenmäßig größten Land der Erde und der kleinen Alpenrepublik weiter ankurbeln soll. Leitl: „Russland zählt gleich nach China und den USA zu jenen Wachstumsmärkten mit dem größten Exportpotenzial für Österreich in den nächsten Jahren. Dieses Riesenpotenzial wollen wir optimal nützen.“ Das neue bilaterale Business-Gremium, das in Österreich von Helmut List (AVL) geleitet wird, soll zweimal jährlich aktuelle Wirtschaftsvorhaben besprechen und Lösungen für Problemfelder im Außenhandel finden. Denn: „Nachdem die Investitionen in unseren Nachbarstaaten weitgehend abgeschlossen sind, rückt Russland nun noch mehr ins Visier der österreichischen Unternehmen“, so Leitl.
Oligarchen und andere Erfolgs-Väter. Hans Peter Haselsteiner ist längst dort angekommen, wo die Interessensvertreter erst hinwollen. Knapp zwei Monate nachdem seine STRABAG sich über einen „ersten Auftrag in Sotschi“ – den Umbau des internationalen Flughafens im Wert von 62 Millionen Euro – freuen durfte, wird auch schon so richtig in die Vollen gegriffen. Mit einem Auftragswert von sage und schreibe fünf Milliarden Euro für den Bau einer achtspurigen, 46 Kilometer langen Ringautobahn um Sankt Petersburg („Western High-Speed Diameter“) hat der Vorstandsvorsitzende der STRABAG SE Mitte Juni einen wahrhaft dicken Fisch an Land gezogen. Und zwar an der Spitze eines Konsortiums, dem auch der russische Industriekonzern Basic Element von Oleg Deripaska – bekanntlich mit 30 Prozent an der STRABAG beteiligt – angehört.
Haselsteiner: „Der Western High-Speed Diameter ist das größte und im Moment wichtigste Infrastrukturprojekt Russlands. Dass es dem von der STRABAG geführten Konsortium gelungen ist, diesen Auftrag zu gewinnen, zeigt die herausragende Marktposition der STRABAG in Russland.“ Der auf die STRABAG entfallende Anteil soll rund eine Milliarde Euro betragen, der Baubeginn ist für das kommende Frühjahr geplant. Doch während in der öffentlichen Wahrnehmung Oligarchen wie Deripaska die wichtigsten Wegbereiter des Big Biz an der Wolga zu sein scheinen, hat der Erfolg des Bauriesen noch einen viel längergedienten Vater: Gerhard Gritzner, den kaufmännischen Unternehmensbereichsleiter der STRABAG in Russland. Gritzner, der seine Karriere unter anderem als Lkw-Fahrer begonnen und sein besonderes Verhandlungstalent seit 1979 unter anderem in Libyen und dem Irak unter Beweis gestellt hatte, hatte anno 1991 das Unternehmen in den russischen Markt geführt und seither überaus erfolgreich gemanagt.
Langer Atem, erste Schritte, viel Geduld. Ebenfalls bereits seit 17 Jahren in Russland vertreten ist der Markenartikler Henkel CEE. Das Unternehmen betreibt derzeit sechs Produktionsstätten und einen Vertriebsstandort, 2008 sollen zwei weitere Fabriken eröffnen. Derzeit beschäftigt Henkel mehr als 2.000 Mitarbeiter in Russland und beweist, dass auch ohne spektakuläre Großprojekte am russischen Markt ein Wachstum im Bereich der 30-Prozent-Marke möglich ist. Henkel-CEE-Präsident Günter Thumser: „Der Aufwand, als einer der ersten westlichen Markenartikler in Russland durchzustarten, hat sich gelohnt. Heute sind wir sowohl bei Waschmittel als auch in der Kosmetik eine starke Nummer zwei im Land.“
Andere Größen der heimischen Wirtschaft haben hingegen gerade erst ihre ersten Schritte nach Russland hinter sich. Etwa die kika/Leiner-Gruppe, die im Jänner einen Franchise-Vertrag in trockene Tücher gebracht hat und Ende des Jahres das erste Einrichtungshaus in Moskau eröffnen will. Aber selbstverständlich gilt es auch viele Hürden zu nehmen. Als der Tiroler Spanplatten-Hersteller Egger seine erste russische Produktionsstätte eröffnete, machte CEO Michael Egger in seiner Eröffnungsrede gar kein Hehl aus den Problemen: „Der Bau unseres Werkes war geprägt von Verzögerungen, die beispielsweise durch die behördliche Genehmigungspraxis aber auch durch den harten russischen Winter und Sprachbarrieren ausgelöst wurden.“
Die Geschäfte der Österreicher in der Russischen Föderation laufen aber trotz aller Schwierigkeiten insgesamt ziemlich geschmeidig. Die österreichischen Exporte erreichten 2007 mit einer Steigerung um 15 Prozent auf nahezu 2,6 Milliarden Euro einen neuen Rekordwert. Mehr als 350 österreichische Firmen sind indes bereits mit eigenen Repräsentanzen und Niederlassungen in Russland vertreten. Ein Beispiel: Eine der in Russland bekanntesten rot-weiß-roten Marken ist ohne Zweifel Raiffeisen. Bereits seit 1990 war die RZB in Russland aktiv gewesen und blieb dem Markt auch während der Finanzkrise Ende der 90er Jahre treu – als einzige Bank aus dem Westen.
Die Übernahme der auf das Privatkundengeschäft spezialisierten Impexbank im Jahr 2006 durch Raiffeisen International schließlich machte die Gruppe zur größten Auslandsbank in Russland. Heute werden rund 1,4 Millionen in einem landesweiten Netzwerk von 237 Filialen betreut. Doch nicht nur die Österreicher haben es auf Russland und seine auch weiterhin hervorragenden Wachstums-Perspektiven abgesehen. Ein untrüglicher Indikator dafür ist etwa auch der Büroimmobilien-Markt. Laut Gewerbeimmo-Spezialist CB Richard Ellis explodieren derzeit die Büromieten in der Hauptstadt. Demnach hat sich Moskau innerhalb des letzten Jahres zum zweitteuersten Bürostandort überhaupt (übertroffen nur von London/West End) entwickelt.
Business-Baustelle Sotschi. Waren bis vor kurzem im Wesentlichen nur die Großstädte Moskau und St. Petersburg im Fokus des Interesses, so ist der Aufschwung nun auch zunehmend in Provinzen zu spüren. Nicht zuletzt natürlich in Sotschi. Irgendwo zwischen dem tiefen Blau des Schwarzen Meeres, dem erfrischenden Grün der Wälder des nahen Kaukasusgebirges und dem schwarzen Sand der „russischen Riviera“ liegen nämlich noch besonders viele Hoffnungen begraben. Spätestens seit der Vergabe der Olympischen Winterspiele an die ebenso schöne wie elitäre Schwarzmeer-Stadt wird nach diesen Hoffnungen gegraben, werden Claims abgesteckt und straffe Zeitpläne entworfen – und wieder verworfen. Vieles versteckt sich noch in leicht geheimnisumwitterten Nebeln.
Etwa die Rolle von Ski-Legende Karl Schranz, der bekanntlich einem ehemaligen Ski-Schüler namens Wladimir P. bei dem ehrgeizigen Prestige-Projekt der Olympiabewerbung zur Seite stand. Und selbst wenn die Möglichkeiten von Schranz als Business-Einfädler heute von Beobachtern als tendenziell überbewertet eingeschätzt werden – irgendwo zwischen Enzianschnaps und Wodka wird schon ein Körnchen Wahrheit zu finden sein. Sotschi hat eben auch etwas Geheimnisvolles. Ein ganz reales Sotschi-Schlüsselproblem bleibt hingegen die schlechte Infrastruktur vor Ort und das von vielen Seiten beklagte Planungs-Chaos. STRABAG-Boss Hans Peter Haselsteiner ging sogar so weit, eine Art Ultimatum zu formulieren und bis zum Sommer einen Masterplan einzufordern, andernfalls sein Unternehmen aus dem Megaprojekt Sotschi auszusteigen drohte.
Scharingers Fuß. Einer der nach eigenen Angaben bereits 50 Unternehmen auf ihrem Weg ans Schwarze Meer begleitet hat, ist Ludwig Scharinger. Der Chef der Raiffeisen-Landesbank Oberösterreich hat nämlich einen kleinen, aber feinen Fuß in der südrussischen Türe. Und zwar in Form einer 3,6-Prozent-Beteiligung an der Center-Invest Bank, der stärksten Regionalbank vor Ort. Das Engagement der Oberösterreicher in Südrussland geht aber noch viel weiter. Scharinger: „Um bei Investitionen für unsere Kunden Rechtssicherheit zu bekommen, ist eine intensive Zusammenarbeit mit der Administration erforderlich.“ Daher habe man im April 2007 in Anwesenheit des damaligen Staatschefs und jetzigen Premiers Putin ein Abkommen getroffen. Scharinger: „Darin wurde festgelegt, dass die Administration von Krasnodar Kunden der Raiffeisenlandesbank OÖ, die nach Südrussland gehen, bei Bewilligungen und sonstigen Behördenangelegenheiten unterstützt sowie alle relevanten Wirtschaftsinformationen zur Verfügung stellt.“
Erst Ende Mai hatte der mächtige Banken-Boss gemeinsam mit Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl eine 70-köpfige Wirtschaftsdelegation in das Zielgebiet angeführt. Das „Wirtschaftsforum der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich“ in Krasnodar und Sotschi brachte Unvermeidliches (Kosakenchor) und Angenehmes (Gala-Dinner), vor allem aber Nützliches. Ludwig Scharinger: „Die Raiffeisenlandesbank Oberösterreich Aktiengesellschaft ist bereits seit fünf Jahren in Südrussland aktiv. Unsere Vereinbarung mit der Region Krasnodar, wo auch die Olympiastadt Sotschi liegt, umfasst generell die Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen sowohl durch Exportprojekte als auch durch Direktinvestitionen österreichischer Unternehmen.“
Österreicher geben Beton. Zum Kreis der erwähnten 50-RLB-OÖ-Kunden gehört zum Beispiel der oberösterreichische Schotter- und Betonspezialist Asamer. Nachdem der „Schotterkönig“ zunächst mit einem lokalen Partner eine mobile Transportbetonanlage aufgestellt hatte, werden jetzt größere Brötchen gebacken. Viel größere. 120.000 Tonnen Beton jährlich sollen im neuen Betonwerk (Investitionsvolumen 15 Millionen Euro) produziert werden, um am Ende mit zwei weiteren Werken auf schlappe 400.000 Tonnen zu erhöhen. Das ehrgeizige Ziel der Ohlsdorfer: zehn Prozent vom Beton-Kuchen in Sotschi. Auch Landsmann Scharinger blickt voll Optimismus in die Sotschi-Zukunft: „Hier in Krasnodar, das ja die drittstärkste Region in Russland ist, bestehen durch die Olympischen Spiele in Sotschi 2014 – aber auch über dieses sportliche Großereignis hinaus – viele Möglichkeiten. Denn hier entsteht eine der größten Baustellen der Welt. Alleine in Sotschi sind rund 270 Projekte mit einem Investitionsvolumen von über 30 Milliarden Euro geplant.“
Bei aller Euphorie – die Energie-Supermacht Russland steht noch immer vor riesigen Herausforderungen. Dass satte 65 Prozent der Exporte 2007 auf das Konto von Energieträgern gingen und das Land gleichsam am Gas- und Öltropf hängt, birgt naturgemäß ein hohes Risiko. Im Rahmen einer Veranstaltung des Kreditversicherungs-Spezialisten Coface im April warf WIFO-Chef Karl Aiginger die Frage auf, ob Russland die so genannte „Holländische Krankheit“ (Anm.: Außenhandelsüberschüsse durch Öl- und Gasexporte machen die Währung so stark, dass die anderen Industrien leiden und das Land trotz Rohstoffsegen in die Krise schlittert) vermeiden könne. Immerhin: Dass Russlands Wirtschaft zusätzliche Standbeine entwickeln und diversifizieren muss, ist weitgehend Common Sense.
Und dann wäre da natürlich die omnipräsente Korruption. Nimmt man den Korruptions-Index von Transparency International als Maßzahl, so findet sich Russland auf dem blamablen 143. Platz – auf Augenhöhe mit Gambia, Indonesien und Togo. „Die Ausprägung und Wirksamkeit des Rechtssystems sind wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung der Wirtschaft und des Sozialen, für die Förderung des Unternehmertums und für den Kampf gegen die Korruption“, hatte daher auch Neo-Präsident Dimitri Medwedew in seiner Antrittsrede formuliert.
Grobheiten, Gesetze, Goldnasen. Was die einschlägigen Absichtserklärungen am Ende des Tages bewirken können, steht indes ebenso noch in den Sternen wie die Frage, ob der Kreml-Primus von Putins Gnaden am Ende als Marionette oder behutsamer Modernisierer in den Geschichtsbüchern stehen wird. Viele Beobachter sehen allerdings berechtigte Hoffnungszeichen für Letzteres. Ähnliches gilt auch für den Regierungseinfluss, der bekanntlich schon einmal darüber entscheiden kann, ob sich ein Unternehmen eine Goldnase oder blutige Nase holt. Das neue Gesetz „über die Einschränkung von ausländischen Investitionen in strategische Industrien“ formuliert jetzt immerhin ziemlich klar und unumwunden, wo es zu Interessenskonflikten kommen kann.
Wenig verwunderlich in diesem Zusammenhang, dass große internationale Wirtschaftskanzleien wie Rödl & Partner aus Deutschland jetzt eigene Abteilungen für Prozessrecht aufbauen. Thomas Brand, Leiter der Rechtsberatung: „Eine eigene Prozessabteilung ist ein Muss für eine internationale Rechtsanwaltskanzlei in Russland. Wir wollen unsere Mandanten wenn erforderlich auch vor Gericht erfolgreich vertreten können.“ Denn: „Russische Geschäftspraktiken können (und sind es oft) schockierend grob sein“, hatte der Economist erst kürzlich unter dem Eindruck der jüngsten Turbulenzen rund um den britisch-russischen Ölkonzern TNK-BP geschrieben. Trotzdem: Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben. Der Brite Daniel Thorniley von der Economist Intelligence Unit, seines Zeichens Berater internationaler Großkonzerne, formulierte vor wenigen Monaten auf den Punkt: „Westliche Manager, die vor Ort tätig sind, wissen wie gut es hier laufen kann. Aber sonst kaum jemand.“ Mit anderen Worten: „Russland ist eines der bestgehütetsten Business-Geheimnisse der Welt.“