Die Suche nach Selbstheilungskräften gegen Parkinson, Alzheimer und Co kann jetzt auch in Salzburg beginnen: Ein hochkarätiger Wissenschafter und sein aufregendes Forschungsgebiet finden an der Paracelsus Universität in Salzburg eine neue Heimat.
Ein kleines Dorf am Land, irgendwo in Österreich. Die alte, freundlich lächelnde Dame sperrt die Türe zu ihrer Waschküche auf. Sie sucht ein Gartenwerkzeug. Es ist aber nicht da, wo es sein sollte. Als auch noch die Gießkanne unauffindbar zu sein scheint, findet die ruhige Gelassenheit der Szenerie ein jähes Ende. „Diebe!“, sucht das Gehirn der an sich rüstigen Frau verzweifelt einen Ausweg aus der oftmals wiederkehrenden Situation. Eben jenes Gehirn, das den Ort, an dem sie die Garten-Hilfen erst gestern selbst aufbewahrt hat, einfach nicht mehr abrufen kann. Szenenwechsel: Eine kleine Wohnung in der Großstadt. Seit Stunden sitzt die alte Dame auf den Stiegen ihrer Wohnung, sucht verzweifelt nach ihrem Wohnungsschlüssel. Doch selbst bittere Tränen bringen die Erinnerung an das selbst gewählte Versteck nicht zurück. Und die Fausthiebe, mit denen sie zornig ihren Kopf malträtiert, leider auch nicht.
Massensterben im Gehirn. Nur zwei kurze Episoden, wie sie sich in Österreich Tag für Tag zigtausendfach ereignen. Demenz und dabei vor allem Alzheimer, Parkinson und andere degenerative Erkrankungen des Zentralnervensystems haben sich heute zum scheinbar unvermeidlichen Damoklesschwert einer alternden Gesellschaft entwickelt. Die Ursache für viele menschliche Tragödien ist indes unschwer im Absterben von Nervenzellen im Gehirn auszumachen. Das Problem an der Sache: Während sich viele Arten von Geweben scheinbar mühelos regenerieren, glaubte man bis vor kurzem, dass ein erwachsenes Gehirn nicht mehr zur Neubildung von Nervenzellen (Neurogenese) fähig wäre. Inzwischen weiß es die Wissenschaft aber besser – und steht dennoch noch vor vielen offenen Fragen. Einer, der besonders viel versprechend nach Antworten auf diese Fragen sucht, ist der deutsche Neurowissenschafter und Stammzellenforscher Ludwig Aigner.
Institut für Molekulare Regenerative Medizin. Geschäftige Unruhe, freudige Erwartung, hektische Vorbereitungen. Dazu Umzugs-Kartons, nagelneue High-Tech-Geräte, und natürlich auch neue Gesichter. Im zweiten Stock des Hansjörg-Wyss-Hauses der Paracelsus Universität nimmt das jüngste Institut der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität, das Institut für Molekulare Regenerative Medizin, derzeit immer konkretere Formen an. Inhaltlich angesiedelt zwischen Grundlagenwissenschaft und Medizin, wollen der 45jähige Instituts-Chef Ludwig Aigner und sein Team hier vor allem die Mechanismen der Aktivierung der Selbstheilungskräfte des Körpers erforschen und daraus klinische Anwendungen ableiten. Aigner, der zuletzt als Chef der (klinischen) Forschungsabteilung Neurologie an der Universität Regensburg tätig war und seit 1. November 2008 das neue Institut in Salzburg leitet: „Wir wollen die Regenerations- und Reparaturvorgänge in unserem Körper verstehen. Und wir wollen dieses ‚Ersatzteillager’ dazu verwenden, um im Körper Organe und Funktionen zu reparieren.“
Molekül des Vergessens. Eines der wichtigsten Forschungsfelder des neuen Instituts wird wie eingangs erwähnt das Zentralnervensystem und speziell das menschliche Gehirn sein. Und natürlich die Möglichkeiten einer positiven Beeinflussung der Nervenzellen-Neubildung. Aigner erklärt: Vor allem im Hippocampus, einer der evolutionär ältesten Gehirnstrukturen, würden jene Stamm- und Vorläuferzellen vorkommen, die diese Neurogenese erst möglich machen. Und das wiederum hätte, belegt durch Tierexperimente, entscheidende Bedeutung für Lern- und Gedächtnisvorgänge. Aigner: „Wenn ich die Neurogenese praktisch blockiere, dann hemme ich auch das Lern- und Gedächtnisvermögen von Tieren.“ Umgekehrt ist aber offenbar auch bei den klassischen neurodegenerativen Erkrankungen des Menschen wie Alzheimer oder Parkinson die Teilung der Stammzellen und somit die Neurogenese gehemmt: „Wir haben uns die Frage gestellt, woran das liegt. Und da sind wir auf ein Molekül gestoßen.“
Gehirn-Schrittmacher löst Stammzellen-Bremse. Und hier wird es wirklich haarig. Denn an sich ist dieses fragliche Molekül (Transforming Growth Factor beta1) in menschlichen Organen für die geregelt ablaufende Wundheilung verantwortlich. Die Crux: Das Protein wird auch bei Erkrankungen des Zentralnervensystems hochreguliert, blockiert aber gerade dadurch offensichtlich die Selbstheilungskräfte der Nervenzellen. „Wir konnten zeigen, dass dieses Molekül die Stammzellenaktivität praktisch bremst“, erzählt Aigner. Bei chronisch degenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Co ist die Zielvorgabe also klar: diese „Stammzellen-Bremse“ irgendwie zu lösen. Das ist zwar noch Zukunftsmusik, über die Art der Verabreichung einer einmal gefundenen Substanz herrscht aber schon jetzt Klarheit: Lokale Therapie. Sprich: Verabreichung über winzige Pumpen und Sonden, also eine Art Gehirn-Schrittmacher. Klingt ein bisschen nach Frankenstein, wäre aber wohl für viele Betroffene ein riesiger Gewinn an Lebensqualität.
Schlaganfall & Lebensstil. Anders liegen die Dinge übrigens bei Verletzungen im Gehirn, also etwa in Folge eines Schlaganfalls oder eines Schädel-Hirn-Traumas. Hier würden die Stammzellen zwar sogar gezielt an die Stelle der Verletzung wandern, aber „nicht wirklich gut“ überleben, so der Neurowissenschafter. Aigner: „Da muss man schauen, dass die Zellen besser integriert werden.“ Und als hätten wir eine Prophylaxe-Ahnung gehabt: Bewegung ist Balsam fürs Gehirn. Hintergrund: Auch die Neurogenese würde nämlich „natürlich massivst“ von unserer Umgebung, unserem Lebensstil beeinflusst, erzählt der frischgebackene Paracelsus-Professor. Speziell Experimente mit Mäusen zeigen, dass allein ein Laufrad und die damit verbundene sportliche Betätigung der Tiere die Neubildung von Nervenzellen etwa verdoppelt. – Eine im Vergleich zu einer Sonde im Gehirn doch deutlich sympathischere Methode der Neurogenese-Ankurbelung.
Nervenzellen wachsen sehen. Versteht sich, dass die Sache mit der Stammzellen-Bremse nicht die einzige Forschungs-Front des neuen Instituts ist. So wird etwa auch mit einer Substanz-Bibliothek experimentiert und so die gezielte Suche nach einem Bremsen-Löser durch breit gestreutes Testen in Frage kommender Stoffe ergänzt. Besonders aktiv ist das Institut aber auch in Sachen optischer Bildgebung. Am lebenden Tier konnte die Neurogenese bereits visualisiert werden. Würde es gelingen, Stammzellen-Aktivitäten auch im menschlichen Gehirn zu zeigen, so wäre das ein riesiger Fortschritt. Aigner: „Hier sind wir eigentlich recht fleißig und aktiv, um in diesem Bereich etwas zu entwickeln.“ Sogar schon „kurz vor der Klinik“ ist man wiederum in Sachen Zelltherapie. Insbesondere die Multiple Sklerose soll schon bald mit Knochenmark-Stammzellen therapiert werden können. Besonders wichtig ist dem Instituts-Vorstand aber auch die Vernetzung mit dem Universitätsklinikum und der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg. Aigner: „Ich bin wirklich auf offene Türen und sehr große Bereitschaft gestoßen.“ Denn: „Ich will hier kein alleinstehendes Institut sein und nur meine eigenen Brötchen backen." (ParacelsusToday)