Ein Impfgegner-Cartoon aus dem Jahr 1894, Quelle: The Historical Medical Library of The College of Physicians of Philadelphia
Der Zeitgeist gibt der Impfskepsis – die eine überaus bemerkenswerte Geschichte hat – neue Nahrung. Das Comeback der Masern ruft jetzt aber auch immer mehr Befürworter einer Impfpflicht auf den Plan.
Andreas Hofer, Mahatma Gandhi und Donald Trump haben etwas gemeinsam: Sie alle waren oder sind Impfskeptiker, teils sogar deklarierte Impfgegner. Der Tiroler Freiheitskämpfer und seine Getreuen etwa wehrten sich vehement gegen die von den bayrischen Besatzern zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingeführte Pocken-Impfpflicht. Den Tiroler Seelen solle so „bayerisches Denken“ eingeimpft werden, so die damalige Befürchtung. Für den pazifistischen Revolutionär Gandhi stellten Impfungen gar eine „barbarische Praxis“ dar. Und der neue US-Präsident sorgte bereits 2014 mit einer seiner berühmt-berüchtigten Twitter-Botschaften für Aufsehen. Trump damals: „Healthy young child goes to doctor, gets pumped with massive shot of many vaccines, doesn't feel good and changes - AUTISM. Many such cases!” Ein Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus konnte aber tatsächlich längst wissenschaftlich widerlegt werden.
Die Geschichte der Impfskepsis ist so alt wie die Impfungen selbst. Nur wenige Jahre nachdem der englische Landarzt Edward Jenner Ende des 18. Jahrhunderts die moderne Schutzimpfung gegen Pocken entwickelt hatte, wurden höhnische Illustrationen auf Flugblättern verteilt, in denen die neue Methode als riesiges Monster dargestellt wurde. 1885 gingen im englischen Leicester sage und schreibe 100.000 Menschen auf die Straße, um gegen die Pockenimpfung zu demonstrieren. Eine Puppe Jenners wurde dabei anklagend zur Schau gestellt. Die Erfolgsgeschichte der aktiven Immunisierung war dennoch nicht aufzuhalten: 1980 konnte die Weltgesundheitsorganisation WHO die Welt für pockenfrei erklären. Die Krankheit, die etwa ab dem 18. Jahrhundert die Pest als schlimmste Infektionskrankheit abgelöst hatte und der Millionen Menschen zum Opfer gefallen waren, war somit keine Gefahr mehr. Was hingegen bis heute nicht ausgerottet werden konnte, sind irrationale und unwissenschaftliche Einwände gegen das Impfen.
Eine Welt, in der Fake News Hochkonjunktur haben und in der Horoskope, Homöopathie, Schüßler-Salze und Bach-Blüten bestens gedeihen, ist nach wie vor empfänglich für gefährliche Impfmythen aller Art. Die Sache mit dem Autismus ist da nur eines der bekanntesten Beispiele. Manchmal ist die Kritik esoterisch oder pseudowissenschaftlich. Und manchmal sogar lächerlich. So wie aus dem Mund der Schweizer Heilpraktikerin und Homöopathin Zita Schwyter, die Mitte Februar in der Toggenburger Zeitungeine besondere Befürchtung äußerte: Geimpfte Kinder könnten demnach plötzlich eine Vorliebe für das Masturbieren entwickeln… Dennoch muss dringend differenziert werden. Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner, zuvor als Sektionsleiterin speziell für Public Health zuständig, gab in einem Interview mit dem Standard folgende Einschätzung: „Nur vier Prozent sind richtige Impfgegner, etwa 40 Prozent sind skeptisch.“ Impfskepsis und Impfmüdigkeit jedoch kann mit guten Argumenten durchaus begegnet werden. Und oft hilft schon ein Hinweis auf das klassische Impfdilemma:
Masern im Vormarsch. Wurde eine Krankheit gerade durch einen Impfstoff erfolgreich zurückgedrängt, so wird sie aufgrund ihres seltenen Auftretens gerne unterschätzt. Zudem ist natürlich jede Impfung spezifisch zu betrachten. Immerhin bestehen zwischen den unterschiedlichen Schutzimpfungen und ihren Indikationen teils erhebliche Unterschiede. Während Immunisierungen wie jene gegen FSME „nur“ einen einzelnen Menschen schützen sollen, sind andere wegen der erheblichen Ansteckungsgefahr auch für die öffentliche Gesundheit unverzichtbar. Das aktuell brennendste Beispiel dafür ist die (Kombinations)Schutzimpfung gegen Masern: Um der als „Kinderkrankheit“ verharmlosten und potentiell lebensbedrohlichen Infektionskrankheit den Garaus machen zu können, hat die WHO eine Masern-Durchimpfung von 95 Prozent aller Europäer als Zielvorgabe definiert. Tatsächlich erreicht Österreich aber im besten Fall einen Wert von 87 Prozent. Über sechs Prozent der Zwei- bis Fünfjährigen (20.000 Kinder) hingegen sind gar nicht geimpft, weitere zehn Prozent (rund 39.000 Kleinkinder und 37.000 Schulkinder) kein zweites Mal. „Das reicht nach wie vor nicht aus, um Masern in Österreich auszurotten“, warnte die verstorbene Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser im Vorjahr. Landesweit wurden zwischen 1. Jänner und 20. Februar 2017 bereits 55 Masernfälle gezählt – mehr als im gesamten Jahr 2016. Kein Wunder also, dass die Debatte über regulative Gegenstrategien voll entbrannt ist:
Pflicht oder Kür? In der Steiermark gibt es konkrete Bestrebungen, Beschäftigte in Landesspitälern – besonders wenn sie in „sensiblen“ Bereichen arbeiten – gegen Masern durchimpfen zu lassen. Für Neuanstellungen existiert bereits eine entsprechende Richtlinie. Auch Rudolf Schmitzberger, Impfreferent der Österreichischen Ärztekammer, befürwortete zuletzt eine Impfpflicht für ärztliches Personal. „Wer für sein Kind einen Platz in einem öffentlichen Kindergarten oder einer öffentlichen Schule will, muss die empfohlenen Impfungen nachweisen können“, fordern wiederum die NEOS in Wien. Auch Volksanwalt Günther Kräuter sieht die Notwendigkeit für eine Impfpflicht gegen Masern in Kinderkrippen, Kindergärten und Schulen. Denn: „Die Aufrufe, Werbe- und Aufklärungskampagnen der Gesundheitspolitik führen nicht zum Ziel.“ Ein verpflichtendes Impfgespräch wäre ausreichend, meinen manche. Eine Impfpflicht gleiche der bereits existenten Verpflichtung, eine KFZ-Haftpflichtversicherung abzuschließen, geben andere zu bedenken. Immerhin würde das Schutzinteresse der Allgemeinheit die Freiheit einzelner bei weitem überwiegen. Fakt ist: Schutzimpfungen gehören unzweifelhaft zu den wichtigsten und wirksamsten präventiven Maßnahmen, die der modernen Medizin zur Verfügung stehen. Und nicht zu vergessen: Auch Impfskeptiker sind oft nicht immun – nämlich gegen gute, fundierte und überzeugend vorgetragene Argumente. (dieser Beitrag ist ursprünglich in PARACELSUS TODAY erschienen, dem Magazin der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg)