Schöne Schuhe sind für viele Frauen eine verlässlich sprudelnde Quelle der Freude, und speziell High Heels haben sich sogar zu Wunderwaffen der Weiblichkeit entwickelt. Doch was steckt wirklich hinter den starken Lieb-Stöckel-Gefühlen?
Was haben Sängerin Mariah Carey, der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit und „Germany’s Next Topmodel“-Original Jorge Gonzales gemeinsam? Richtig geraten: Sie alle verbindet – auf die eine oder andere Art – eine Leidenschaft für Damenschuhe. Diva Carey etwa gestand einmal in einem Interview, unglaubliche 10.000 Paar Schuhe ihr Eigen zu nennen. Berlins Stadtoberhaupt wiederum hatte sich Champagner ausgerechnet in roten Pumps kredenzen lassen, um sich medienwirksam als „Partymeister“ zu inszenieren. Der in lichten Höhen daherstaksende Catwalk-Coach aus Kuba schließlich wurde in Deutschland auch schon als „fleischgewordener Stöckelschuh“ gefeiert. High Heels seien schon als Kind seine Freunde gewesen, bekannte Gonzales. Worin aber liegt der offenbar tief verwurzelte Reiz, der von (besonders Damen-)Schuhen ausgeht? Und der Mariah, Klaus, Jorge und Millionen von Frauen und Männern gleichermaßen fasziniert?
Das schönste Shopping Schuhe sind funktioneller Gebrauchsgegenstand und starkes Fashion-Statement zugleich. Vor allem für hohe Schuhe – von „High Heels“ spricht man im Prinzip erst ab einer Absatzhöhe von zehn Zentimetern – gilt die S-Formel: Style, Sexyness und Selbstbewusstsein umwehen die Trägerin, deren Vergnügen bekanntlich schon beim Einkauf beginnt. Und dieses Shopping-Erlebnis ist aus Sicht vieler Ladies einfach einzigartig. Das mag an der riesigen Farben- und Formenvielfalt liegen, aber auch daran, dass etwaige Figurproblemchen so gar keine Rolle spielen. Es soll Frauen geben, die das Einkaufen von Schuhen als höchste, edelste und schönste Form des Shoppings begreifen. Hohe Schuhe surften in den letzten Jahrzehnten derart erfolgreich auf sämtlichen Modewellen, dass weder besorgte Orthopäden noch Feministinnen der reinen Lehre sie zu Fall bringen konnten. Und es müssen ja nicht gleich die spätestens seit Sex and the City weltberühmten Kult-Treter des Spaniers Manolo Blahnik oder des für seine roten Schuhsohlen bekannten Franzosen Christian Louboutin sein. Schöne Damenschuhe haben offenbar einen Wert, der mit schnöden Euros ohnedies kaum zu beziffern ist. Und dafür gibt es Gründe, die in den Tiefen der Psychologie zu suchen sind:
Supernormal sexy Einer, der der Sache auf den wissenschaftlichen Grund gehen will, ist Paul Morris von der University of Portsmouth. In einem Experiment ließ der englische Psychologe Frauen einmal mit flachen, dann mit hohen Schuhen über ein Laufband gehen. An verschiedenen Punkten ihres Körpers waren Signalpunkte befestigt, die Morris erfassen ließ. So konnten Testpersonen später zwar den Gang und die Umrisse der Ladies auf Bildschirmen begutachten, wurden dabei aber nicht von deren Aussehen beeinflusst. Das Ergebnis war eindeutig: In hohen Schuhen wurden die Frauen durch die Bank als deutlich attraktiver wahrgenommen, ihr Gang als weiblicher beurteilt. Das liegt offenbar einerseits an der kürzeren Schrittlänge, vor allem aber an der veränderten Beckenneigung samt stärkerem Hüftschwung. „Wir ziehen den Schluss, dass High Heels geschlechtsspezifische Aspekte des weiblichen Gangs verstärken“, so die Forscher. Es handle sich bei Frauen in High Heels quasi um einen „supernormalen“, also natürliche Anlagen noch künstlich verstärkenden Reiz. Die Schlussfolgerung: „Es gibt aktuell eine starke Verbindung zwischen hochhackigen Schuhen und der weiblichen Sexualität.“ Anders gesagt: High Heels sind wohl deswegen so zeitlos populär, weil sie ein nahezu unfehlbares Instrument dafür sind, die eigene Weiblichkeit zu unterstreichen.
Bestes Aphrodisiakum Schon vor mehr als 30 Jahren war der Fußmediziner William Rossi zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Bei High Heels könnte es sich um das „mächtigste Aphrodisiakum aller Zeiten“ handeln, so Rossi damals. 1999 kam der US-Anthropologe Euclid Smith in seinen Arbeiten zu dem Schluss, dass High Heels ein „außergewöhnliches Beispiel“ dafür wären, wie im Zusammenspiel von Biologie und Kultur unser Verhalten geformt und damit letztlich die sexuelle Attraktivität gesteigert werde. Smith’s Messungen ergaben, dass High Heels die Beckenneigung um rund 25 Grad verändern und so die gesamte Körperhaltung beeinflussen. Der Fuß erscheint in der Folge klein, die Beine lang, die Wadenmuskulatur leicht gerundet, der Bauch flach, Busen und vor allem der Po kommen besser zur Geltung. High Heels wären ein „Musterbeispiel für die sexuellen Signale, die Frauen aussenden”, vergleichbar einem bunten Pfauen-Rad oder den Wespen-Taillen früherer Tage. Dabei würde aber nicht nur Erotik, sondern auch Selbstbewusstsein und Stärke zum Ausdruck kommen, so Smith.
Stark auf Stöckeln Auch damit wird klar: Das Thema dreht sich keineswegs nur um anerkennende Männerblicke. Sondern einfach um eine Frau, die sich gut und schön fühlt, weil es ihr gut geht und sie schön ist. Aber es stimmt natürlich: Welcher Mann kann schon einem durch hohe Schuhe verstärkten Hüftschwung wirklich widerstehen? Und die Sache mit den Stöckelschuhen hat noch einen weiteren psychologischen Aspekt: Man hört eine selbstbewusste Frau, die sich nicht verstecken will, lange bevor sie überhaupt da ist. Frei nach der Devise: Brave Mädchen schleichen auf leisen Sohlen durch die Welt, böse stöckeln überall hin. Und noch ein Gedanke: Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum High Heels vom edlen Männermagazin bis zum Schmuddel-Porno scheinbar zum völlig unverzichtbaren Accessoire geworden sind? Sogar dann, wenn die Damen sonst splitternackt sind? Auch ganz ohne wissenschaftliche Erklärung lässt all das wohl nur eine Deutung zu: High Heels lassen sich ohne erotischen Bezug nie vollständig begreifen.
SHOEting Stars Sabine Epple, Kuratorin für die Moderne im Leipziger Grassi-Museum für Angewandte Kunst, treibt das Thema noch weiter auf die Spitze. Ursprünglich inspiriert vom einzigartigen virtuellen Schuhmuseum der niederländischen Schuh-Enthusiastin Liza Snook, hat die Deutsche in Leipzig eine tolle Ausstellung („Starker Auftritt!“) im Zeichen ganz besonderer Schuhe auf die Beine gestellt. Und Epple fungiert auch als Ideengeberin für die ähnlich gelagerte Designschuh-Schau „SHOEting Stars – Der Schuh in Kunst und Design“, die ab 18. Juni im Kunst Haus Wien ihre Pforten öffnet. Warum fesseln Schuhe gerade Frauen so sehr? Epples Erklärungsversuch: „Durch die enge Verbindung zum Körper hat ein Schuh große Auswirkungen auf das Körpergefühl.“ Besonders auf hohen Absätzen müsse man „seinem Körper ein Lot geben“ und Körperspannung aufbauen. Die Folge: „Hohe Schuhe verleihen eine andere Form der Körperwahrnehmung.“
Schulter-Schuhe Und obwohl sich mit „einem populären Thema wie Schuhen perfekt unterschiedliche Designstrategien erklären“ ließen, drehe sich bei den Ausstellungen letztlich viel um den „emotionalen Mehrwert“ der Schuh-Kunst-Werke. Epple: „Dazu gehört natürlich die erotische Aufladung, ein Schuh hat ja immer auch Sexappeal und erotische Signalwirkung.“ Im Englischen kommt diese erotisierende Wirkung hoher Schuhe übrigens durch zweideutige Bezeichnungen wie „Shoulder Shoes“ unverblümt zum Ausdruck. Schulter-Schuhe kommen in dieser Denk-Welt nämlich dann perfekt zur Geltung, wenn sie auf den Schultern eines Mannes liegen. Oder wenn sie in der Fetisch-Szene ins Zentrum erotischer Verehrung rücken. Ein historisch spannendes Beispiel einer erotischen Aufladung ist – Wowereit lässt grüßen – auch das angeblich am russischen Zarenhof entstandene Ritual, Champagner aus dem Schuh einer Dame zu schlürfen. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, über Gesundheit aber schon weniger:
(Un)Gesunde Gefühle? Füße und Wirbelsäule haben nämlich wirklich ihr Kreuz mit zu hohen Schuhen, die negativen Folgen reichen von Rückenschmerzen bis hin zur Hallux-Valgus-Zehenfehlstellung. Doch es soll auch Vorteile geben: Die italienische Urologin Maria Cerruto glaubt, dass das Laufen auf hohen Absätzen die Beckenbodenmuskulatur stärkt. Der Gewinn wären weniger Inkontinenz-Probleme im Alter und mehr Spaß beim Sex. So oder so: Viele schöne Schuhe sind für schmutzigen Asphalt eh viel zu schade. An einer coolen Bar-Theke oder im Liebesnest sind Kratzer hingegen kaum zu befürchten. Außerdem: Frau muss es ja nicht übertreiben. Weder beim Tragen noch beim Einkaufen. Eines aber ist fix: In schönen Schuhen steckt ein Zauber, der die Wissenschaft wohl auch in Zukunft beschäftigen wird. Der Hamburger Psychologe Michael Thiel brachte seinen derzeitigen Erkenntnisstand vor wenigen Wochen so auf den Punkt: „Mit Schuhen kaufen sich Frauen ganze Gefühlswelten und Träume. Wenn Frauen sich verändern möchten, sind Schuhe für sie der schnellste Weg, ihre Emotionen auszudrücken und sich weiblicher und sexy zu fühlen.“